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Rock am Ring 2016: Mit dem L-Team durch den Monsun

Mit dem Anfang des Sommers geht bei mir seit meinen Teenager-Jahren immer auch eines einher: Die Festival-Planung. Seit meinem ersten Southside in den frühen 2000ern finde ich die Idee eines Wochenendes voller Sonne, Bier und Musik irgendwo in der Walachei, aber mit zehntausenden Verbündeten, ziemlich ansprechend. Zwei, dreimal habe ich das auch genauso erlebt. Letztes Jahr bei der Wilden Möhre zum Beispiel. Einmal auch bei Rock im Park. Bei kleinen Stadtfestivals wie dem Open Ohr. Wir Modemädchen träumen von Blumenkränzen im Haar und Cut Offs zu Cowboy Boots, wir sehen uns im Bikini zu den Red Hot Chili Peppers tanzen und versuchen, diesen Traum möglichst lang am Leben zu halten. Wir trotzen der Wettervorhersage und packen ein: Das, was wir gerne tragen würden auf so einem Festival.

Klar, ne? Abgerockte Boots, Jeans und Tshirt. Fransentäschchen. Offene Haare. Aber die großen deutschen Festivals, die Southside/Hurricane- und die Rock am Ring/Rock im Park-Connections – die stehen eigentlich immer unter folgendem Motto:  Und so auch dieses Jahr.

Macht nichts, dachte ich mir ein paar Tage vor Abfahrt, neue Gummistiefel will ich mir seit Ewigkeiten kaufen und eine wirklich wasserdichte Regenjacke leihe ich mir einfach von meiner Freundin. Dass in diesem Jahr kein Zelt, keine Isomatte und kein Schlafsack mitgeschleppt werden mussten vergrößerte meine Vorfreude trotz des Regenwetters ungemein, auch wenn mir klar war, dass das Schlafen in einem Hotelzimmer die Festivalexperience um einiges verfälschen würde. Aber wie gesagt: Been there, done that, und es gibt noch viele wettertauglichere Festivalwochenenden diesen Sommer, an denen wieder das Wurfzelt ausgepackt wird. Also los!

Als wir am frühen Freitagabend auf dem Festivalgelände von Rock am Ring 2016 ankommen – seit zwei Jahren nicht mehr originalgetreu auf dem Ring, sondern auf einem Flugplatz bei Koblenz – ist alles wie leergefegt. Klar, denken wir uns, es hat ja auch geregnet und gestürmt wie Hechtsuppe, aber spielen da nicht grade Tenacious D auf der Volcano Stage? Und gleich dann Panic at the Disco? Nach und nach wird uns klar: Das mit dem Blitzeinschlag, das war kein dummer Scherz, sondern ziemlich wörtlich gemeint gewesen. Wie wir im Nachhinein wissen wurden bei diesem rund 80 Menschen zum Teil schwer verletzt. Das Programm wurde unterbrochen und die meisten Besucher haben sich bis vor wenigen Minuten in ihren Autos versteckt.

Es schien zwischendurch aber auch immer wieder die Sonne durch die Wolkendecke, die Menschen wollten weiterfeiern und die Bands, wie Billy Talent am Samstagabend eindrucksvoll bewiesen, mit ihnen. Also ab dafür! Und erstmal klarkommen. Die heeren Pläne von Lederjacke und Jeanshemd wurden denkbar schnell über den Haufen geworfen. Da könnt ihr noch so viele Mood-Boards und Outfit-Collagen erstellen, nach zwei Stunden auf einem verregneten Festival sehen wir alle gleich aus:

Und das ist auch völlig in Ordnung. Das gehört sich ja fast schon so, finde ich mittlerweile. Und stampfe mit meinen Gummistiefeln einmal fest in den Matsch, ganz egal, ob das Hosenbein über den Hunter Boots gleich in ebenjenen getränkt ist. Denn irgendwie muss das – bis zu einem gewissen Punkt. Der liegt da, wo Sicherheit und Vernunft gegen Musikliebe und Feierlust überwiegen, und das mussten spätestens am Samstagnachmittag, als das zweite große Gewitter über das Festival herzog, alle einsehen.

Lange blieb ungewiss, wie es weitergehen sollte. In den Facebookkommentaren unter den offiziellen Wetterupdates wechselten sich Verschwörungstheorien und Hasstiraden ab. Gebeutelte Festivalbesucher, die immer wieder vom Gelände zum Auto und zurück geschickt wurden fragten zurecht genervt nach, wie es denn nun weiter ginge. Sahen aber – spätestens mit dem Blick aus dem Fenster des eigenen faradayschen Käfigs – dass das zu diesem Zeitpunkt einfach noch keiner vorhersagen konnte.

Sehr sehr viele Menschen, Medien und besorgte Mütter, die offensichtlich nicht vor Ort waren, waren offensichtlich trotzdem der Meinung dass sie die schwierige Entscheidung, die der Festivalleitung hier oblag, besser hätten fällen können, dass es bei der Lage des Festivals ja nur klar sei dass so etwas passiert [sic!] und dass alle, die trotz des Gewitters beim Festival geblieben sind, jawohl jeck sein müssen. Das machte mich im Lauf der Zeit wechselweise wütend, versetzte mich in die sich durchziehende Stress-Lache oder ließ mich einfach nur kopfschüttelnd die Augenbrauen hochziehen. Denn:

Ja, Rock am Ring 2016 war heftig. Aber es war kein Weltuntergang.

Ja, die Gewitter waren heftig und ganze Zelte standen unter Wasser. Bis auf die Blitzeinschläge ist das aber nichts, was nicht bei mindestens einem deutschen Festival pro Jahr passiert. Die Entscheidung, ob er trotz nasser Klamotten, ausfallender Konzerte und drohender weiterer Gewitter da bleibt, obliegt jedem Festivalbesucher selbst – wer nicht eigenverantwortlich genug denken kann, ist auf so einer Massenveranstaltung vermutlich ohnehin schlecht aufgehoben. Marek Lieberberg und seinem Team reine Geldgier zu unterstellen wenn diese stundenlang abwägen, ob ein Abbruch dieses Festivals, das Menschen aus ganz Europa in die Vulkaneifel gezogen hat, die einzige Lösung ist – hämisch finde ich das. Ja, es herrschte Chaos zwischen Unwetterwarnung, Konzerten und Schlammschlachten, aber die eigene Verantwortung einfach abzutreten macht die Sache etwas zu einfach, finde ich.

Denken wir kurz das Szenario durch: Sofortiger Abbruch des Festivals. 92.500 größtenteils angetrunkene bis sturzbetrunkene und teilweise verdrogte Menschen verlassen erbost und frustriert, durchnässt und erschöpft das Festivalgelände, steigen in ihre Autos und versuchen gegen alle Vernunft, über die Landstraßen, Feldwege und Autobahnen der Vulkaneifel den Ort des Geschehens zu verlassen. Hint: Die A61 ist bis auf eine Fahrbahn vollkommen überschwemmt. Es regnet weiter.

Wäre das wirklich besser gewesen als abzuwarten? Denen, die absolut nicht mehr wollen, eine einigermaßen erträgliche Heimreise zu ermöglichen – und den anderen wenigstens noch von ein paar Headlinern den Samstag versüßen zu lassen? Anschließend die Wahl zu bieten: Abreise Samstagabend oder Sonntagvormittag? Ich bin mir sicher, das Chaos war dennoch heillos – aber tun wir bitte mal alle nicht so, als sei es das nicht bei ausnahmslos jedem Festival am Abreisetag, vor allem bei Regen. Und ja, ich habe leicht reden so ohne Zelt und mit Hotelzimmer, aber das Waten durch die Zeltplätze und zwischen den Bühnen hindurch hat mich in dem Eindruck bestätigt, dass ich ziemlich genau weiß und kenne, wovon ich hier spreche.

Ich bedanke mich an dieser Stelle also. Bei der Organisation für meiner Meinung nach verantwortungsbewusstes Handeln. Bei Billy Talent, die am Samstagabend kurz vor Schluss eine wahnsinnig geile Show abgezogen haben. Beim Handbrot für seine bloße Existenz. Vor allem aber bei den anderen drei Mitgliedern des L-Teams bestehend aus Lina, Luise, Laura und mir, die dieses Wochenende auch trotz verhältnismäßig wenig Musik aber viel Stress-Lachen zu einem echten Vergnügen gemacht haben.

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  1. Pingback: FESTIVAL RECAP: ROCK AM RING 2016 - LINA MALLON

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