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Music Musing: Wohnzimmerkonzert und Interview mit Ciarán Lavery

Es gibt Konzerte, die beeindrucken durch ihre überdimensionalen Locations. Es gibt solche, die punkten mit verrückten Light Shows und aufwendigem Bühnenbild. Und es gibt Wohnzimmerkonzerte, und das sind mir die liebsten.

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Ein Glück, dass ausgerechnet in meiner neuen alten Heimat Darmstadt eine Keimzelle der Institution Wohnzimmerkonzert sitzt. Und dass deren Macher einen dermaßen guten Musikgeschmack haben: Vergangenen Monat schon habe ich euch von diesem aus-der-Seele-raus Lied erzählt von diesem irischen Sänger, der mich seitdem akustisch durch den Herbst begleitet hat – und schon steht Ciarán Lavery in einem Darmstädter Wohnzimmer, schüttelt mir freundlich die Hand und setzt sich neben mich auf eine Yogamatte am frei geräumten Fußboden.

Zeit, mit ihm über ein Thema zu reden das uns gerade beide beschäftigt: Zuhause. Ebenso wie ich ist Ciarán nämlich erst vor kurzem in seinen Heimatort Aghagallon zurückgezogen, hat sich dort mit seiner Freundin ein Haus gekauft und wird sesshaft, wenn man es so nennen will. Wie fühlt sich das für ihn so an? Was hat seine Musik damit zu tun? Wie schafft er es, sich vor seinen Hörern emotional so nackt zu machen – schließlich sind seine Texte wahnsinnig persönlich – und trotzdem Privatsphäre zu wahren? Ich habe mit dem 29-jährigen über Themen gesprochen die mich auch persönlich interessieren und dabei einen wahnsinnig sympathischen, bodenständigen und angenehm unkomplizierten Menschen kennengelernt.

Was bedeutet „Heimat“ für dich?

Ich glaube, was Heimat für mich ausmacht ist, dass sie mich quasi in eine Blase packt, in der ich mehr oder weniger verschwinden kann. Einfach abtauchen, von der Landkarte verschwinden. Besonders in der Musikwelt ist das total gesund, weil es da ziemlich anstrengend sein kann – und ich auch nicht immer und nur über Musik sprechen will. Bei mir zu Hause gibt es keinen Handyempfang, das Internet kann ich ignorieren und so kann ich richtig abschalten. Außerdem bin ich dort nach wie vor der selbe der ich immer war, egal was passiert, egal wie viel Erfolg ich mit der Musik habe. Jeder weiß dort was jeder tut, aber man redet nicht viel darüber. Man behandelt mich nicht anders als früher.

Sind es trotzdem – oder gerade deswegen – auch die Menschen, die das Zuhause-Gefühl dort ausmachen?

Definitiv! Meine ganze Familie wohnt dort, alle haben grade ein Haus gekauft, man ist nah beieinander, kann aufeinander bauen und vertraut sich – also ja, Zuhause ist für mich definitiv diese Blase, in der ich regelrecht verschwinden kann wenn ich das möchte.

Du bist momentan viel unterwegs. Was brauchst du, um dich auf Tour zu Hause zu fühlen?

Ehrlich gesagt packe ich ziemlich leicht. Wenn ich unterwegs bin versuche ich es ganz einfach zu halten – eine kleine Tasche mit Klamotten, die Gitarren – und ich fürchte, mein größter Bezugspunkt der mir unterwegs ein Heimatgefühl gibt, ist mein Smartphone! Da sind ganz viele Bilder drauf die ich gerne durchschaue wenn ich Heimweh habe. Quasi mein mobiles Fotoalbum.

Bist du allgemein gerne auf Tour? Reist du gern?

Schon! Auch meine Eltern reisen wahnsinnig viel, es gibt sogar diesen Witz in unserer Familie, dass sie unbedingt mal wieder weg müssen – dabei machen die ungefähr drei mal im Jahr Urlaub an den verrücktesten Orten. Meine Geschwister haben alle Familie, da reist es sich nicht so leicht, da bin ich schon am meisten unterwegs. Vor allem auch wenn es um Orte geht wie Darmstadt, wo man sonst nicht unbedingt hinreisen würde – das gefällt mir aber ehrlich gesagt sogar am besten: Orte zu sehen, die man sonst nie sehen würde. So geht es mir sogar in Irland und England, man reist in diese kleinen Orte, von denen man nicht mal wusste dass sie existieren, fühlt sich manchmal fast wie auf einer Zeitreise wenn man in diese kleinen urigen Pubs kommt – und alle sind so wahnsinnig freundlich und motiviert… das macht so Spaß! Das ist zwar kein Urlaub, aber ich finde es viel interessanter als in den großen Städten.

Bist du dann privat trotzdem auch viel unterwegs?

Ehrlich gesagt gar nicht. Letztes Jahr waren wir im Urlaub in Nizza und das würde ich jederzeit wieder machen, aber wenn ich auf Tour bin, dann verbringe ich jeden Tag ungefähr den halben Tag auf der Straße – danach bin ich ehrlich gesagt froh, wenn ich mich in meine kleine Blase zurückziehen und dort bleiben kann. Wenn ich auf Tour bin versuche ich aber schon, mir auch ein bisschen was anzugucken. Vor ein paar Tagen waren wir in Köln und haben uns den Dom angeguckt, das hat mich wahnsinnig beeindruckt! Ich bin früher sehr oft zur Messe gegangen, und wenn ich jetzt in Kirchen komme fühle ich mich oft ein bisschen schuldig – statt einfach die tolle Architektur zu genießen bekomme ich direkt ein schlechtes Gewissen!

Natürlich grinst Ciarán, als er das sagt, aber man kann sich schon vorstellen was er meint, oder? Diese gewisse Scham, wenn man als Tourist in einer Kirche steht – als Ungläubiger kommt man sich vor wie ein Eindringling, als Gläubiger fühlt man sich ungenügend. Scham, „Shame“, ist auch der Titel eines Liedes, das Ciarán beim Auftritt später als seinen persönlichsten Song vorstellen wird. 

All my friends they shoulder me and my poor head of woe
They know I’m good, but I want to be bad
Standing there with the lights down low, and the lovers who make love
They see me smiling, but I want to be sad

Would you light me up? Really, set me on fire
And be there when I’m burning out
Would you hold my head ‘neath the water tap
And elbow me if I get too loud?

Evil walks the streets by day, ‘tween every crack and pave
And by night it cowers and hides
Here it come that awful sting when you let someone in
You sit so bare in the lame legged chair

I want to live between the lie and where the truth dies
Everything in its own time.

Würdest du selbst sagen, dass deine Texte sehr persönlich sind?

Sicher, irgendwie. Als ich noch jünger war habe ich versucht, Texte in der dritten Person zu schreiben – hauptsächlich wahrscheinlich, weil ich damals viel Bob Dylan und Neil Young gehört habe und dachte, „So will ich auch schreiben!“. Aber irgendwann habe ich verstanden, dass das so nicht funktioniert. Du kannst nicht wie jemand anders schreiben, du musst rausfinden, was du selbst sagen willst, und nicht einfach das machen, was du für gute Musik hältst. Ein paar Jahre lang war ich also echt ein bisschen wie ein Chamäleon unterwegs, bis ich irgendwann verstanden habe was ich eigentlich machen will. Mit dieser Erkenntnis fiel auch dieser Filter weg, der dir sagt, darüber solltest du nicht schreiben, das ist zu persönlich. Im Endeffekt ist es natürlich auch viel einfacher, von Dingen zu schreiben, die ich selbst erlebt habe. Ich denke das ist quasi die Stärke meiner Musik, dass sie so persönlich ist.

Aber gibt es gar keinen Punkt, an dem es dir zu privat wird? Wo du denkst Okay, das kann ich jetzt wirklich nicht schreiben? Gibt es das bei dir überhaupt?

Ich weiß nicht. Das gab es wirklich nicht oft – ich denke, vor ein paar Jahren habe ich bewusst entschieden, so nicht zu denken. Und trotzdem gibt es immer noch Momente wo ich fremde Musik höre und mir denke Wow, wie kann der nur über so was intimes schreiben? Ich glaube nämlich, meine Texte sind eigentlich gar nicht so persönlich oder offen wie andere Lieder die ich gehört habe. Kennst du den Damien Rice-Song Accidental Babies? Der macht mir echt Angst! Andere Alben sind manchmal fast schon wie ein Tagebuch, das finde ich echt beeindruckend. Als Texter ist das schon etwas das ich mir auch wünschen würde, aber ich fände es albern, mich zu so etwas zu zwingen. Dann schreibt man nicht mehr natürlich. Ich mache mir also nicht gar nicht zu viele Gedanken darüber, wie persönlich meine Texte sind – ich schreibe einfach, und das einzige, wonach ich dann noch gehe, ist die Frage ob die Texte irgendjemanden beleidigen würden.

Hast du außer Neil Young und Bob Dylan noch einen großen Einfluss?

Tausende! Ich bin zum Beispiel riesiger Tom Waits Fan. Früher habe ich sehr viele alte Sachen von ihm gehört, und dann den Unterschied zu den neuen Sachen zu hören, hat mich wahnsinnig beeindruckt! Aber ich kann ehrlich gesagt gar nicht genug Musik hören.

Was hörst du aktuell gerne?

Ich habe grade so eine ganz witzige Phase – ich bin letztens zu meinen Eltern gegangen und habe ganz viel Musik von früher rausgekramt, als ich ein Teenager war. Da habe ich total viel Hip Hop und Punk Rock gehört, und jetzt habe ich in meinem Auto ein Green Day Album, ein Tupac Album, und höre mir die an als wäre ich wieder 15. Und tatsächlich klingt das für mich nach wie vor nach richtig guter Musik – einfach weil es in mir dieselben Gefühle wachruft wie damals! Da kann ich richtig nostalgisch werden.

Ich hasse diese Frage selbst, aber: Gibt es irgendwas, das du dieses Jahr unbedingt noch erledigen willst?

Auf jeden Fall! Wir haben ja grade das Haus gekauft, und die Weihnachtsvorbereitungen sind schon in vollem Gange. Einen Weihnachtsbaum zu kaufen – meinen ersten eigenen Weihnachtsbaum – steht ganz oben auf meiner Liste. Das ist das erste was ich machen werde, wenn ich heimkomme! Es ist einfach so: Ich bin den ganzen Tag von Musik umgeben, und das letzte was ich machen will, wenn ich heim komme, ist über Musik reden. Am Ende dieser Tour nach Hause kommen, wieder in meine Blase verschwinden und dort einen Weihnachtsbaum aufstellen – das ist mein Ziel bis zum Ende des Jahres.

Als Ciarán seinen Auftritt eine halbe Stunde nach unserem Interview mit einem Cover von The Weeknds „Can’t feel your face“ beginnt, ist alles ruhig. Die Köpfe sind gereckt, manche wiegen wissend im Takt, die anderen schauen neugierig und gespannt auf den Mann, der an diesem Sonntag für einen gefühlvollen Ausklang ihres Wochenendes sorgt. Ob man ihm glauben möchte, dass seine Texte gar nicht so persönlich sind, wenn man ihn singen hört von den dreckigen Fußsohlen nach dem Barfußtanz im Gemeindesaal, das muss man später selbst entscheiden.

Eins sind seine Texte auf jeden Fall: Bildgewaltig. „…how your hair made love to the waves of the radio“ zum Beispiel ist so eine Zeile, die in meinem Kopf einen ganzen Film lostritt. Ob es euch auch so geht, solltet ihr möglichst bald live rausfinden. Wenn irgendwie machbar bei einem Wohnzimmerkonzert.

ciaran_lavery_04Ciarán Laverys neues Album wird Mitte 2016 erscheinen, die nächste Single vermutlich im März. Bis dahin lege ich euch Not Nearly Dark ans Herz. Mehr von ihm hören könnt ihr zum Beispiel hier.

Vielen Dank, Ciarán, für das Interview – und vielen Dank für die Einladung und den wunderschönen Abend an das Team von Bedroomdisco! Die (guten) Bilder von Ciaráns Auftritt stammen von Jo Henker.

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