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Irgendwie muss es weitergehen, aber wir wissen nicht, wie: Ein Versuch von Normalität

Seit einer knappen Woche steht die Fliegerwelt still. Zwar bringen wir unsere Gäste weiterhin sicher und zuverlässig an ihr Ziel, steigen wie gewohnt ohne Zweifel in den Flieger und wissen, dass ein Flugzeug nach wie vor das sicherste Fortbewegungsmittel dieser Welt ist. Wir wissen um die unzähligen Checks, denen unsere Maschinen jeden Tag unterlaufen, um den Wartungsaufwand und auch darum, dass unsere Piloten bei jeder Auffälligkeit doppelt nachhaken. Ich habe ein Urvertrauen ins Fliegen und in meine Kollegen. Ich weiß, was für eine gute, umfassende Ausbildung unsere Piloten durchlaufen und habe keinerlei Zweifel an ihren Fähigkeiten. Das solltet ihr auch nicht haben.

Trotzdem ist seit einer Woche alles anders. Als ich am Dienstag, einen Tag nach meiner Rückkehr von einer fünftägigen Tour auf einem Airbus A320, per WhatsApp die Nachricht über den Absturz erhielt, gefror kurz die Zeit und das Blut in meinen Adern. Tränen schossen mir im Minutentakt in die Augen, obwohl der Unglaube noch mehrere Stunden anhielt. Das konnte doch nicht stimmen. Nicht bei uns. War das wirklich passiert? Wer hatte hier eine geschmacklose Ente in die Welt gesetzt? Und wo verdammt noch mal steckt gerade L., die nicht wie ich in Marineblau sondern in Brombeerrot fliegt?

Unter uns Fliegern herrscht – auch über Airline-Grenzen hinweg – ein unglaublicher Zusammenhalt, der für Nichtflieger nur schwer nachzuvollziehen ist. Die Mahnwachen an unseren Crewcentern, bei denen Kollegen der verschiedensten Fluggesellschaften zusammenkamen, haben gezeigt, dass hier nicht nur Kollegen ums Leben gekommen sind, sondern auch Freunde und Familienmitglieder einer großen Luftfahrtfamilie. Dazu 144 Passagiere aller Nationalitäten und Altersgruppen, die an diesem Tag zurück nach Hause kommen oder in ein neues Abenteuer starten wollten.

Es ist nicht greifbar. Es kann nicht wahr sein. Die gesamte Woche über gelang es mir immer wieder, das Unglück für mehrere Stunden zu verdrängen. Als meine Freundin Bettina mit ihrem Sonnenschein von einem Sohn zu Besuch war zum Beispiel, wir gemeinsam die Oskar Schlemmer Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie besuchten, auf dem Spielplatz schaukelten und abends bei einer Flasche Wein über das Leben abseits von Katastrophen sprachen. Das hat wahnsinnig gut getan, war dringend nötig, war ein wunderschöner Tag – das Lächeln auf diesen Bildern, die an diesem Nachmittag entstanden, sind echt.

Das Lächeln, das ich gestern Morgen auf einem Flug nach Bremen – und in den darauffolgenden drei Tagen auf jedem weiteren meiner zehn Flüge – meinen Gästen schenkte, war es auch. Es war ein Lächeln voller Zuversicht, voller Vertrauen. Aber es kam mir nicht ohne Anstrengung über die Lippen. Die Stimmung ist nicht gut, die Augen sind verquollen, das Lächeln hält nicht länger als ein paar unbeschwerte Stunden voller Ablenkung an. Aber genau diese paar Stunden sind wahnsinnig wichtig.

Es fühlt sich komisch an und irgendwie auch falsch, dieser Tage Eis schleckend durch Neapel zu laufen oder albern kichernd in der Galley zu stehen, aber es ist das Einzige, was funktioniert. Ich muss mir sagen dass es niemandem hilft, wenn ich mich jetzt in anhaltende Schwermut stürze und ständig an das Schlimmste denke – weder den Gästen, die von alldem weniger tangiert sind als ich und (wie gewohnt) einen guten Flug erwarten, noch den Gästen, die seit dem Absturz Angst haben und sich bei mir nicht sicher fühlen. Und am wenigsten den Opfern, ihren Angehörigen – oder mir. Es ist wichtig, die Stunden zu nutzen in denen die miesen Gedanken in der Ecke bleiben, in die ich sie verdrängt habe. Und aus der sie früh genug wieder auftauchen, spätestens dann wenn der Gast in der ersten Reihe die BILD irgendeine beliebige deutsche Tageszeitung mit reißerischem Titel aufschlägt.

Ich möchte auch an dieser Stelle noch ein mal um Verständnis bitten für die Crews, die in der vergangenen Woche ihre Flüge nicht antreten konnten. Wir haben nicht nur liebe Kollegen verloren, sondern Freunde und einen Teil unserer Familie. Keiner von uns zweifelt an der Sicherheit dieses Flugzeugs. Wir sind einfach nur fertig. Auch ich habe vor meinem Flug am Samstag überlegt, ob ich mich fit to fly fühle, und es ist gut zu wissen dass mein Arbeitgeber und meine Kollegen Verständnis gehabt hätten. Ich hoffe, die Gäste haben es auch.


To all my English readers: I may add some more words in English as soon as I find the time. All my thoughts are with the crew and passengers of flight 4U9525 right now, and even though light-hearted hours like the ones I spent with my friend Bettina and her son this week still put a huge and honest smile on my face, it’s hard to carry that smile with me through these rough and dramatic days. In deep sorrow.

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